Jesus hätte nicht so sterben müssen.
Musste Jesus sterben?
Ja, Jesus hat sterben müssen, weil er ein Mensch war.
Menschen müssen sterben.
Aber Jesus hätte nicht so sterben müssen.
Nicht an einem Kreuz.
Nicht als zu unrecht Verurteilter.
Nun glauben das aber viele.
Der Tod Jesu wird als ein Heilsereignis gedeutet.
Ich finde die Theologien schwierig, die hinter dem Kreuzestod Jesu einen göttlichen Plan vermuten.
Als ob Gott gewollt hätte, dass Jesus stirbt.
Als ob Gott keine besseren Mittel als Folter und Hinrichtung hätte, diese Welt in Ordnung zu bringen.
Als ob Gott so phantasielos wäre.
Als ob man mit einem Kreuz überhaupt etwas wieder gut machen könnte.
Gewalt heilt nicht.
Das kann nur Liebe.
Ich glaube mit vielen Prozesstheolog*innen, dass Gott Jesus nicht retten konnte.
Es war Gott nicht möglich.
So wie es Gott bei vielen anderen Opfern von Gewalt auch nicht möglich ist.
Gott kann das nicht immer.
Jesu Tod war nicht dafür nötig, dass Gott uns vergeben kann und sich uns zuwenden. Gott ist bereits für uns, Gott ist vergebend und großzügig. Aber nicht deswegen, weil es um den Kreuzestod herum irgendeinen „Mechanismus“ gibt, der es Gott erst ermöglicht, uns anzunehmen. Ich glaube auch nicht, dass Gott den Kreuzestod herbeigeführt hat, damit wir davon profitieren, irgendetwas nun besser verstehen oder dadurch verändert werden.
Näher zu Gott kommen wir dadurch auch nicht.
Gott ist bereits bei uns.
Gott bewirkt andauernd Veränderung.
Aber sein Mittel ist niemals Gewalt.
Ich glaube auch nicht, dass es von Jesus besonders liebevoll war, ans Kreuz zu gehen.
Er hat es kommen sehen.
Er ist ein hohes Risiko eingegangen.
Aber er wollte sicher nicht gefangen werden.
Ja, Jesus hat sein Leben hingegeben.
Damit ist aber nicht das Kreuz gemeint.
Das steht für seinen Dienst an den Armen, seine Predigt und seine Kritik an den Mächtigen.
Und so ein Leben kann am Kreuz enden.
Ich glaube übrigens auch nicht, dass alle Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament etwas taugen. Im 1Petrus 2 wird beispielsweise gesagt, dass sich Sklaven ihren Herren unterordnen sollen. Auch denen, die bösartig sind und Gewalt anwenden. Warum? Weil auch Jesus gelitten hat und uns ein Vorbild darin gewesen ist. Im nächsten Satz steht, dass sich in gleicher Weise auch Frauen ihren Männern unterordnen sollen. Ich glaube nicht, dass das prinzipielle Ertragen von Gewalt eine gute Idee ist.
Liegt im Kreuz nun Heil?
Ich wüsste nicht.
Heil liegt im Wesen Gottes.
Im Gewaltverzicht Gottes.
In der Treue.
Im Wiederherstellen.
Im Eröffnen von neuen Möglichkeiten, was oft Auferstehung genannt wird.
Ein Vergleich: Trayvon Martin, George Floyed und viele andere starben durch Polizeigewalt. War ihr Tod heilvoll? Ich wüsste nicht. Die Protestbewegung „Black Lives Matter“, die hat das Potential der Heilung. Sie hat die Haltung der Black Power, die für die von weißen Rassisten verleugnete Würde der Schwarzen einsteht. Tod und Gewalt sollen aber gerade überwunden werden.
Für mich klingen viele Theorien über das Kreuz Jesu wie die #BlueLivesMatter oder #AllLivesMatter Diskurse. Sie verstärken Probleme, schaffen sogar neue – aber bieten den Privilegierten Erleichterung.
Mir brennt aber noch ein anderen Punkt unter den Nägeln.
Wie kann es sein, dass der christliche Glaube so wenig wirksam ist, wenn es um Rassismus und Ausgrenzung geht? Was läuft da schon seit so vielen Jahren schief?
Oder, um es mit James Cone zu sagen: Wie kann es sein, dass eine weiße Christenheit bis in die 50er Jahren an Lynchmorden an Schwarzen beteiligt war, und sonntags einen Jesus angebetet haben, der ebenfalls an einem Holz aufgehängt wurde?
Vor kurzem hat es im Freundeskreis ein Gespräch über die Besetzung von Diskussionsrunden gegeben. Einer meinte: „Es ist richtig peinlich, wenn es heute immer noch Panels gibt, bei denen nur Männer auf dem Podium sitzen“.
Ja, das ist peinlich.
Ein Bereich, in dem mir dasselbe Problem auffällt, ist das der theologischen Bildung.
Theologische Bücher sind meist von Männern geschrieben. Von Weißen.
Allerdings sind wir in der Theologie noch nicht so weit, dass das peinlich wäre.
Ich selber wurde in den 2010er Jahren sehr stark von amerikanischen Theologen geprägt, die ich unter den Begriffen „Emerging Church“, „Progressive Theology“ oder im deutschsprachigen „Postevangelikal“ gefunden hatte.
Menschen wie Brian McLaren, N.T. Wright, Rob Bell, Brad Jersak, Shane Claiborne, Brian Zahnd, uvm. haben meinem Blick geweitet und mir neue Perspektiven für den Glauben eröffnet.
Später kamen dann noch Autorinnen wie Rachel Held Evans oder Nadia Bolz Weber hinzu. Auch einige queere Theologen wie Justin Lee oder Matthew Vines.
Kurzum: alle weiß.
Auch heute noch.
In meinem Bücherregal.
In meiner Podcastapp.
Fast nur Weiße.
Es ist ja nicht so, dass die weißen Theologen nicht gute Arbeit machen würden. Da sind brillante Ideen bei, von denen ich sehr profitiere. Aber Theologie wird dadurch schwach. Sie verliert die Widerstandskraft.
Die weiße Theologie hat es vollbracht, ein Glaubenssystem zu entwickeln, das Rassismus problemlos integrieren kann. Westliche Theologie hilft nicht, um rassistische Strukturen, Muster, Haltungen und Taten zu überwinden oder zu verhindern.
Wie kann es sein, dass Christ*innen den Kreuzestod Jesu für sich in Anspruch nehmen und dann einen harten Umgang mit Geflüchteten an der EU-Außengrenze fordern?
Und selbst diejenigen, die sich für Geflüchtete einsetzen, berufen sich meiner Beobachtung nach eher auf das Gebot der Nächstenliebe als auf den Kreuzestod.
Warum ist das so?
Ich möchte ein paar Vermutungen anstellen.
Zum einen wird der Glaube vielfach als Lösung für ein Problem gesehen, das der einzelne Mensch und Gott miteinander haben. Sünde ist zuallererst Sünde gegen Gott.
(Die Idee stammt übrigens laut Psalm 51 von König David, der kurz vorher eine Frau vergewaltigt hat und zur Vertuschung deren Mann töten ließ. Spannend, wer alles Theologie prägen darf).
Wenn man hinnimmt, dass Sünde gegen Gott allein gerichtet ist, dann ist auch klar, dass man Vergebung erleben kann und damit nur das Verhältnis von Gott und Mensch betroffen ist.
Dann kann man annehmen, dass das Ertrinken im Mittelmeer und die Vergebung der individuellen Schuld zwei völlig voneinander unabhängige Dinge sind.
Klar kann ich dann Rassist sein.
Klar kann ich dann Nazi sein.
Klar kann ich dann trotzdem glauben, dass alles gut ist.
Denn die einzig heilsrelevante Beziehung ist ja geklärt.
Und natürlich kann Rassismus in der Kirche dann weiter das machen, was Rassismus eben macht.
In diesem Monat ist auf Instagram der #blackhistorymonth ausgerufen worden.
Einen Monat mit der Geschichte und mit Literatur von BiPoC auseinandersetzen.
Da möchte ich mitmachen.
Ich werde in diesem Monat James H. Cones Buch „The Cross and the Lynchingtree“ lesen und darüber bloggen. Wenn es sich ergibt, möchte ich mich auch im Podcast und auf Clubhouse mit BiPoC zusammensetzen. Das ist nämlich eine weitere Vermutung: Zuhören ist jetzt dran.