Ist deine Beziehung zu Gott toxisch?
Triggerwarnung: In diesem Text geht es um Gewalt und Missbrauch in Beziehungen. Wenn dir diese Themen gerade nicht gut tun, dann fühl dich frei, diesen Text zu überspringen.
Vor einiger Zeit bin ich auf einen Podcast gestoßen, der mich nachhaltig zum Nachdenken gebracht hat. Der Podcast heißt „Born Again Again“ und handelt von einem Ehepaar, das sich aus dem evangelikalen Glauben entglaubt hat. In der Folge mit dem Titel Is my relationship with god abusive gehen sie der Frage nach, ob die Beziehung zu Gott Anzeichen einer toxischen Beziehung hat.
Sie gehen dabei so vor, dass sie einen Artikel von New Hope, einer Beratungseinrichtung für Opfer von Gewalt und Missbrauch, durchgehen. In diesem Artikel geht es um Anzeichen, die toxische Beziehungen ausmachen. Diese Anzeichen vergleichen sie nun mit dem, was sie in ihren evangelikalen Kreisen über die Beziehung zu Gott kennengelernt haben.
In diesem Blogpost möchte ich denselben Weg wie „Born again again“ gehen und die wesentlichen Ideen dieses Podcasts aufgreifen und kommentieren. Dazu gehe ich die Kennzeichen von toxischen Beziehungen durch, wie sie bei New Hope zu finden sind und füge einige meiner eigenen Beobachtungen, wie auch einige Aspekte von „Born again again“ hinzu:
Eifersucht.
Eifersucht ist ein Zeichen von Unsicherheit und mangelndem Vertrauen. Allerdings wird dies von einem toxischen Partner/einer toxischen Partnerin als Zeichen der Liebe umgedeutet. Toxische Partner*innen fragen, wo man hingeht, machen Vorwürfe „du flirtest mit wem anderes“ und sind eifersüchtig, wenn man Zeit mit anderen verbringt.
— Gott ist ein eifersüchtiger Gott, heißt es in der Bibel. Diese Tendenz kenne ich auch aus meiner eigenen Glaubensprägung: Alles in meinem Leben muss sich um Gott drehen. Daneben sollte es am besten nichts anderes geben. Denn das könnte zu einem Götzen werden.
Kontrollierendes Verhalten.
Ein Partner/eine Partnerin bestimmt die Beziehung völlig und fällt die Entscheidungen. Das beinhaltet, dass der andere Partner/ die andere Partnerin ständig beobachtet wird und nachgehalten wird, wann der Partner/die Partnerin was macht. Wann verlässt du das Haus? Wo gehst du hin? Wie viele Kilometer bist du mit dem Auto gefahren? Was sagt der Standort deines iphones? Auf welchen Internetseiten warst du? Ein toxischer Partner kontrolliert die Finanzen, den Kleidungsstil, andere Freundschaften, usw.
— Gott wurde mir immer als „allwissend“ erklärt. In der Kinderstunde sangen wir „Pass auf kleines Auge was du siehst, denn der Vater in dem Himmel schaut herab auf dich…“. Gerade habe ich bei Craig Groeschel (einem Hipster-Pastor aus den USA) gelesen: To follow god is to surrender control. Nachfolge bedeutet, die Kontrolle an Gott abzugeben. In einem bekannten Psalm heißt es: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.“ Den Vers kann man unterschiedlich verstehen. Eine Konnotation kann eine kontrollierende sein: Gott bekommt alles mit.
Schnelles Anbahnen
Toxische Partner*innen treten zu Anfang einer Beziehung sehr bestimmt auf und üben Druck aus, um die Beziehung schnell zu intensivieren und Verbindlichkeit einzufordern. Da fallen Sätze wie: „Das ist Liebe auf den ersten Blick“, „Ich habe niemals jemanden wie ich kennengelernt“.
— In der evangelikalen Welt gibt es die kulturelle Eigenart von Bekehrungsaufrufen. Auch hier gibt es bestimmte Sätze, die häufig fallen: Wenn du heute Abend stirbst, weißt du, wo du die Ewigkeit verbringen wirst? Die Bekehrungsaufrufe zielen darauf ab, innerhalb von Momenten eine Entscheidung zu treffen, die das gesamte Leben verändern, prägen und neu sortieren soll.
Unrealistische Erwartungen
Toxische Partner erwarten, dass man all ihre Bedürfnisse befriedigt und „perfekt“ ist. Hier fangen Sätze oft an mit „Wenn du mich wirklich liebst, dann…“
— Eine Seite der evangelikale Spiritualität betont sehr stark, dass es nicht auf die Werke ankommt, wenn es darum geht, gerettet zu werden. Wenn es aber um die Lebensweise als Christ geht, dann spielen Erwartungen an die Lebensführung jedoch eine riesige Rolle. Denn erst das veränderte Leben beweist, dass man wirklich gerettet ist. Ein „Leben in Sünde“ ist der Marker, dass man eigentlich nicht gerettet ist. Wer das nicht leisten kann, wird in verschiedenen Gemeinschaften von der Mitarbeit oder Mitgliedschaft ausgeschlossen. Die eigene Lebensweise wird an die Beziehung zu Jesus gekoppelt: „Wenn du Jesus liebst, dann…“. Völlige Hingabe. Ein Leben zur Ehre Gottes. Hier kommt es ggf. zu einem Konflikt: Man wird die Erwartungen Gottes nie erfüllen können, so dass man in einen Kreislauf von Sündigen, Schuldgefühl, Sündenbekenntnis und Vergebung empfangen geraten kann.
Isolation
Toxische Partner*innen versuchen ihre Partner*innen von Familienmitgliedern und anderen Freund*innen fern zu halten. Das kann extreme Ausmaße annehmen, zum Beispiel dadurch dass verhindert wird, dass der / die andere zur Arbeit geht.
— In manchen evangelikalen Kreisen wird es kritisch gesehen, dass man zu viel mit „nichtchristlichen“ Freunden unternimmt. „Die Welt“ ist eine Gefahr, man könnte auf Abwege gebracht werden. Stattdessen sollte man lieber regelmäßig an den Veranstaltungen der Gemeinde teilnehmen. Immer wieder wird auch die Frage gestellt, wieviel Zeit man mit Gott verbringt. Hier geht es darum, Menschen mit einer anderen Perspektive und andere kritische Stimmen fern zu halten. So wird eine Abhängigkeit von der eigenen Gemeinschaft gefördert, was ein Aussteigen schwerer macht. So wird Gott zu einem übermäßigen Beschützer, einer klammernden Person.
Andere beschuldigen
In toxischen Beziehungen übernimmt der toxische Partner/die toxische Partnerin nie Verantwortung. Stattdessen wird die Ursache für Probleme immer bei anderen (oder beim Partner/der Partnerin) gesucht.
— In der evangelikalen Theologie ist Gott perfekt. Seine Wege sind vollkommen und höher als unsere. Gott ist nie schuldig. Obwohl Gott die absolute Kontrolle zugedacht wird, ist Gott für Leid nie verantwortlich. Entweder ist es das eigene Verschulden, oder Gott hat einen guten Plan. Gott entschuldigt sich nie.
Überempfindlichkeit
Toxische Partner*innen fühlen sich durch Kleinigkeiten beleidigt und nehmen alles sehr persönlich. Da gibt es Wutausbrüche, die völlig unverhältnismäßig erscheinen.
— Ja, es gibt da beunruhigende Geschichten. Der Typ, der die Bundeslade festhalten wollte, als sie beim Transport vom Wagen zu fallen drohte. Er wurde an Ort und Stelle von Gott niedergestreckt. Die Bundeslade fasst niemand an. Oder Hannanias und Saphira – die haben für die Kirche gespendet und einiges heimlich für sich behalten und die Gemeindeführer angelogen. Auch sie mussten direkt sterben. Solche Dinge sind für den biblischen Gott ein Problem. Kinder mit Knochenkrebs nicht.
Verbaler Missbrauch
Der toxische Partner sagt brutale und verletzende Dinge, erniedrigt seinen Partner/ seine Partnerin, beschimpft („calling names“) oder verachtet die Bemühungen und Leistungen. Toxische Partner*innen machen ihre Opfer runter (auch vor anderen), behaupten, sie seien dumm und unfähig ohne den toxischen Partner/die Partnerin zurecht zu kommen.
— In der evangelikalen Spiritualität ist die Idee verbreitet, dass man ohne Gott nichts tun könne. Man wird als abhängig von Gott verstanden. Das „Demütigen unter Gott“ wird gelehrt. Der Mensch wird als „Sünder“ bezeichnet. Auch andere Begriffe werden verwendet. In vielen evangelikalen Ausprägungen wird Wert darauf gelegt, dass man sich als „verdorben“ begreift. Nicht fähig zu guten Werken. Tut man etwas „aus eigener Kraft“ ist das Sünde. „Eigene Wege“ sind Sünden, die scheitern müssen. Die „eigene Weisheit“, die eigene Intuition und Urteilsfähigkeit für Lebensentscheidungen, wird einem konsequent aberzogen. Immerzu muss der Wille Gottes für das eigene Leben erfragt werden.
Dr. Jeckyl und Mr. Hyde
(berühmte Novelle aus dem 19. Jahrhundert, in dem das Doppelgängermotiv eine wichtige Rolle spielt).
Toxische Partner haben ausgeprägte Stimmungsschwankungen, was die Frage nach psychischen Problemen aufwirft. In dem einen Moment sind sie sehr charmant und liebevoll und um nächsten werden sie sehr aggressiv.
— In der evangelikalen Theologie wird Gott als ein dualistisches Wesen mit Gegensätzen gedacht: Gott ist Liebe und heilig. Barmherzig und gerecht. Gnädig und zornig. Vergebend und strafend. Vertrauensvoll und zum Fürchten.
Anwendung oder Androhung von Gewalt
Gewalt kann unterschiedliche Formen annehmen. Verbales Runtermachen, Festhalten, Schubsen, Treten, Drücken gegen eine Wand, Dinge schmeißen – oft mit dem Ziel, das Opfer zur Unterordnung zu zwingen und Angst zu erzeugen. Hinzu können Bedrohungen kommen, wie zum Beispiel „Ich bringe dich um“, „Ich brech dir alle Knochen“ und „Ich mach dich fertig“.
— Die evangelikale Theologie ist im Kern eine gewalttätige Ideologie. Sie lehrt, dass Gott die Ungläubigen (also alle, die nicht in einer Beziehung mit ihm sein wollen) ewig in der Hölle quälen wird. Die Sündenvergebung, ein anderer wesentlicher Faktor der evangelikalen Theologie, funktioniert nur aufgrund der stellvertretenden Sühne: Jesus wurde für die Sünde der Menschen bestraft. Vergebung ohne Strafe ist nicht möglich. W.Wink nennt das den „Mythos der erlösenden Gewalt“. Auch die Zukunftshoffnung ist durchzogen von Gewalt: Jesus wird wiederkommen. Dann aber nicht als Lamm Gottes, sondern als König von Juda, aus dessen Mund ein Schwert kommt. Er wird die Feinde Gottes vernichten.
Mir ist bewusst, dass ich in diesem Artikel mal über das Gottesbild, mal über die Ausprägung in christlichen Gemeinschaften geschrieben habe. Ich meine aber, dass sich das in der Praxis nicht gut trennen lässt und habe daher diese Ungenauigkeit in kauf genommen.
Und ja, ich beziehe mich auf die evangelikale Bewegung. Manchmal bin ich da vielleicht zu pauschal, auch das nehme ich diesmal in kauf. Wenn das stört, dann könnte man vielleicht den Text auch stärker in einem Duktus verstehen, der fragend ist: Wenn es Glaubensausprägungen gibt, auf die vergleichbare Tendenzen zutreffen – muss man dann nicht von einem toxischen Glauben sprechen? Und wie müsste eine Gottesbeziehung aussehen, die gesund ist?