Es sind heilige Geschichten
Wenn ich das Wort Christ benutze, dann dürfte das wenig selbsterklärend sein. Es gibt ganz unterschiedliche Arten und Erscheinungsformen des Christentums. Das ist auch gut so und völlig in Ordnung. Ich finde nur nicht beliebig, was Christsein sein sollte und was nicht. Damit möchte ich niemandem ihr oder sein Christsein absprechen, nur weil man nicht mit meiner Vorstellung davon kann.
Trotzdem, hier meine Kurzversion:
So wie ich das heute verstehe, ist das Christentum eine große Erzählung davon, dass es einen Gott gibt, der Liebe ist, und dass diese Geisteskraft in dieser Welt etwas Neues schafft. Versöhnung. Neuschöpfung. Wiederherstellung. Genauer bestimmend würde ich hinzufügen, dass dieser Gott wie Jesus ist. Dieser Erzählung möchte ich Glauben schenken, mich damit auseinandersetzen, mich davon berühren und verändern lassen. In der Hoffnung, dass es eine Geschichte ist, eine sich entfaltende Realität, die tatsächlich in Koproduktion von Schöpferin und Schöpfung entsteht.
So würde ich das heute meinen.
Sicher, früher habe ich das anders gesehen.
Mein Zugang zum Christentum reicht recht weit zurück.
Der christliche Glaube ist für mich seit der Geburt prägend gewesen. Mein gesamtes Umfeld war christlich. Die Religion hat von Anfang an alle Lebensbereiche geprägt. Ich bin so aufgewachsen. Daher bin ich Christ.
Wäre ich in einer anderen Umgebung groß geworden, dann wäre ich vielleicht Hindu oder Moslem geworden. Das an sich erklärt aber nicht, warum ich heute noch Christ bin. Es hat genug Anlässe oder Gelegenheiten gegeben, den Glauben hinter mir zu lassen. Aber es gibt offenbar einiges, das mich immer noch dabei hält.
Ich finde in dem Glauben etwas, das mir wertvoll und wichtig ist. Diese Geschichten rühren in mir eine tiefe Hoffnung an, dass das Leben überraschende Wendungen bereit hält. Dass das Leben stärker ist, als der Tod. Dass die leise Stimme, die gegen die empfundene Sinnlosigkeit protestiert, richtig liegen könnte. Dass die kleinen Gesten, die ungesehnen Versuche, Liebe in dieser Welt einzunisten, etwas Wahres sind. Nicht vergebens. Dem möchte ich weiter nachspüren. Daher bleibe ich dran. Aber auch aus anderen Gründen.
Der christliche Glaube ist für mich ein großer Schatz an Geschichten. Hier haben Menschen über tausende Jahre Geschichten über die tiefen Themen des Lebens zusammengetragen und an die nächsten Generationen weitergegeben.
Eine Geschichte, die man über tausende Jahre erzählt und über die man seit so langer Zeit nachdenkt, muss eine ungeheure Qualität haben. Nur die besten Geschichten werden weitererzählt und geraten nicht in Vergessenheit. Auch deswegen sind es heilige Texte. Sie stechen aus den Unmengen von anderen Texten heraus, die die Menschheit ansonsten produziert hat. Und dafür gibt es Gründe. Im Leben der Menschen bewirken diese Texte etwas.
Diese Geschichten und Texte sind für mich wie eine Art Muttersprache. Ich kann mich darin ausdrücken, kann dadurch mein eigenes Leben deuten und mich von diesen Geschichten deuten lassen.
Im Laufe meines Lebens habe ich auch andere Sprachen gelernt. Andere Möglichkeiten der Deutung, andere Erzählungen und Zugänge zur Wirklichkeit. Es gibt soetwas, wie eine weltanschauliche Mehrsprachigkeit. Ich muss mich da nicht für eine entscheiden. Ich suche lediglich nach Worten, die für die jeweilige Situation stimmig sind. Der christliche Glaube ist für mich daher eine wichtige Ressource. Eine Sprache, die ich sprechen möchte. Weil ich damit Dinge ausdrücken kann, die ich in anderen Sprachen nicht oder manchmal nicht besser ausdrücken kann.
Und dann schafft Sprache auch Wirklichkeit. Auch die Sprache der christlichen Religion. Und die Art von Wirklichkeit, von der Jesus geredet hat, das ist eine Wirklichkeit, die ich gerne leben und erleben möchte.
Kris
26. Januar 2020 @ 16:29
Cool, den Ansatz “Religion” als Sprache zu sehen, die Geschichten als Code, den man verstehen und seine Wahrnehmung drin wiederfinden kann und mit anderen eine gemeinsame Wirklichkeit erfährt, finde ich spannend. Da will ich gerne mehr drüber nachdenken und auch gerne reden! Wird’s hier noch mehr output geben, wie das praktisch bei dir aussieht?
Liebe Grüße!
Kris
Jason
26. Januar 2020 @ 16:32
Ja, sehr gerne! Also sowohl reden, wie auch hier drüber schreiben, wie das praktisch aussieht…