repost: Infektionsschutzgesetz und Demokratie und so…

Frank Ehrlacher schreibt auf seinem Facebook-Profil folgendes:
Ich habe in den vergangenen Tagen versucht zu verstehen, woher der Hass auf und der fanatische Eifer gegen die heute beschlossenen Änderungen am Infektionsschutzgesetz und die komplett verrohte Sprache (auch bei eher intelligent erscheinenden Menschen) kommt.
Vorab: Ich bin weder ein “Fan” noch ein “Hater” dieses Gesetzes. Es hat Passagen, deren Notwendigkeit ich begreife und solche, die ich mir eher anders gewünscht hätte. So wie ich die Notwendigkeit mancher Tempo 30/50-Zonen einsehe, manche aber für schwachsinnig erachte. Ich halte mich dennoch an alle. Aus Gründen.
Inwieweit das Gesetz verfassungsmäßig bedenklich oder widrig ist, vermag ich nicht zu beurteilen – denn ich habe neben dem Studium der Epidemiologie auch das vertiefte Studium des Verfassungsrechts an der YouTube Academy nicht aufgenommen und nie meinen Dr. Google gemacht. Ich habe aber mit einigen rechtskundigen Freunden gesprochen, von denen es viele meistenteils “wenig dramatisch”, einige “durchaus interessant bis bedenklich” fanden. Eins sah aber niemand darin: Eine Parallele zum Ermächtigungsgesetz der NSdAP oder die Vollendung der Diktatur.
Drei Diskussionen, die ich geführt habe, ließen mich aber eine Ahnung davon bekommen, warum Menschen so denken – und was im Demokratieverständnis falsch läuft.
Die erste war platt:
“Natürlich ist das ein Ermächtigungsgesetz, weil das Parlament ermächtigt wird, alleine weitreichende Beschlüsse zu treffen – zum Beispiel die “epidemische Lage” auszurufen”.
Für alle, die so denken, habe ich eine schockierende Nachricht: Dafür braucht es dieses Gesetz gar nicht, denn diese Ermächtigung hat das Parlament = der Bundestag und “die Regierung” in weiten Teilen schon längst. Und dieses “Ermächtigungsgesetz” habt ihr und wir alle unterschrieben, nämlich mit unserem Kreuz auf dem Wahlzettel bei der vergangenen Bundestagswahl. Der Bundestag ist als Legislative nun einmal “ermächtigt” Entscheidungen zu treffen, die das Volk lenken und damit auch be- und einschränken. Manchmal ist es nur die Einschränkung, nicht schneller als 130 auf der Autobahn zu fahren, manchmal sinnvolle Einschränkungen wie nicht ins Haus des Nachbarn zu spazieren und Dinge zu entwenden, manchmal aber auch zu verfügen, dass wir einen “Lappen” vor dem Mund tragen müssen oder sogar Ausgangsbeschränkungen zu verhängen (wovon Deutschland ja zum Glück noch ein Stück weg ist).
Aber selbst diese Ermächtigung ist ja nicht so absolut, wie sie erscheint. Vieles muss noch “durch den Bundesrat” und als weiteres Kontrollorgan haben die Väter unserer Verfassung ja noch die unabhängige Judikative geschaffen, die – gerade vor dem Bundesverfassungsgericht – auch schon manche Regelung oder Norm wieder gekippt hat. Und wenn in dem oft zitierten § 28 der Satz “Die Anordnung der Schutzmaßnahmen muss ihrerseits verhältnismäßig sein.” steht, ist der gleichzeitig eine offene Flanke für die Kontrollinstanz, die Verhältnismäßigkeit in Frage zu stellen oder überprüfen zu lassen.
Stellt doch mal allen, die hier von “Ermächtigung” sprechen, die Gegenfrage, WER hätte denn stattdessen ermächtigt werden sollen? Einer muss es ja machen und – hier im konkreten Fall – die epidemische Lage feststellen und ausrufen. Vielleicht ist die vom Volk gewählte Volksvertretung demokratisch legitimierter als uns viele einreden wollen.
Das zweite war eine Diskussion, dass über andere Meinungen ja gar nicht mehr diskutiert werde und andere Meinungen nicht gehört und wir deswegen längst in einer Diktatur ohne Meinungsfreiheit angekommen wären. Ingendwie fast lustig, denn sie (die Verfasserin, mit der ich diskutierte) postete dies im Rahmen einer Diskussion und äußerte darin ihre Meinung… – merkt ihr selber?!
Sie konkretisierte es trotzdem an besagtem Infektionsgesetz, das sei ja am Volk vorbei im stillen Kämmerlein durchgeschleust worden. Das Volk werde ja gar nicht gefragt und um Zustimmung gebeten, es gäbe keine Diskussion, sondern nur die Meinung der Regierung, und ihr habe das ganze eh noch keiner erklärt und sie mitgenommen. Das sei Diktatur. Offensichtlich wünschte sie sich, dass Frau Dr. Merkel von Tür zu Tür geht und 82 Millionen Menschen sagt “Guten Tag, darf ich Ihnen die Änderungen am Infektionsschutz präsentieren? Haben Sie noch Fragen? Und stimmen Sie dem zu?” Und was, wenn sich von 82 Millionen ein paar Millionen erdreisten, “Nein” zu sagen?
Stattdessen verwies ich auf den Link zum Server des Bundesrats und Bundestags, auf dem sowohl seit 29. Oktober der heute diskutierte GesetzENTWURF der Bundesregierung lag – also seit 3 Wochen, für jedermann zugänglich und einsehbar – und auf die heute stattfindende 2. und 3. (wenn ich es richtig im Kopf habe) Lesung, die wie so ziemlich alle Bundestagsdebatten live per TV und Internet übertragen würde. Da könne sie sich ja im Vorfeld informieren und die Diskussion am Fernseher verfolgen. “Dafür habe ich keine Zeit und während ‘die da’ diskutieren, muss ich arbeiten, einer muss ja schließlich noch was schaffen und Geld verdienen”. Das hinterließ mich dann etwas ratlos, wenn sie sich nicht selbstständig die Informationen holen wollte, erwartet sie wohl wirklich die Bringschuld von Frau Dr. Merkel – dann aber auch bitte abends, also nach der Arbeit, aber auch vor dem Zubettgehen und nicht in der Entspannungsphase dazwischen… Merke: Wenn wir nicht eingebunden werden, ist das Diktatur – wir haben aber auch keine Lust uns einbinden zu lassen. Also bleibt es Diktatur…
Eine weitere Diskussion, ähnlich gelagert, entzündete sich daran, dass alle anderen Virologen außer dem “Heiligen” Professor Drosten vom Diskurs ausgeschlossen würden. Das irritierte mich sehr, da doch neben Professor Streeck auch die Herren Bhakdi und Wodarg überall ihre Meinung so laut herausposaunen dürfen, dass sogar ich sie mitbekomme. Also sind sie doch am Diskurs beteiligt. “Ja, aber Frau Merkel hört sie nicht an” – gut, ich kann mir kaum vorstellen, dass sie so taub ist und deren Spitzen nicht auch zur Kenntnis nimmt… aber es kam noch die Erweiterung “Ja und wenn, sie dürfen vielleicht ihre Meinung sagen – aber Frau Merkel hört ja nicht auf sie, dann brauchen sie auch ihre Meinung gar nicht erst zu sagen”…
… und da begriff ich: Meinungsfreiheit ist für diejenigen erst dann hergestellt, wenn ihre Meinung auch von allen anderen akzeptiert und nach dieser verfahren wird. Meinungsfreiheit existiert also nur, wenn man seine Meinung nicht nur sagen darf, sondern auch Recht bekommt. Wie das funktionieren soll, wenn 82 Mio. meinungsfreie Deutsche erwarten, dass genau ihre Meinung umgesetzt wird und zwar alle, auch konträren, gleichzeitig?
Und da schloss sich der Kreis: Eine Diktatur besteht für diese Menschen dann, wenn nicht ihre (persönliche) Meinung umgesetzt wird, sondern sie sich nach der Meinung eines anderen (landläufig: “Mehrheit”) richten müssen. Dann fühlen sie sich unfrei, unterdrückt, entrechtet…
Daher auch die Wut der “Querdenker”. Da gehen sie zu zehn- oder hunderttausend (oder wenn es nach ihnen ging sogar 1,4 Mio.) auf die Straße – und trotzdem ändert sich nichts. Nun, wir sind 82 Mio. Einwohner und selbst WENN es 1,4 Mio. gewesen wären, wären das … nicht einmal 2 %, die ihren Willen nicht bekommen, weil sie sich nach dem Wilen der Mehrheit richten müssen. Und genau DAS nennt man Demokratie – und nicht Diktatur!
PS: Nach Umfragen finden seit Monaten konstant zwischen 80 und 85 % die Maßnahmen “angemessen und vertretbar”. Die anderen 20 % schreien nur lauter – vielleicht wird es Zeit, zurückzuschreien…