Fundamentalismus
Seit einiger Zeit mache ich mir Gedanken über Fundamentalismen.
Zum einen ist das ausgelöst durch einen sehr interessanten Podcast von Jens Stangenberg, der genau davon handelt.
Dann hat es eine Situation gegeben, die mich etwas betroffen gemacht hat.
Vor einiger Zeit bin ich online auf eine islamische Seite aufmerksam geworden.
Diese Muslime hatten einen christlichen Pastor für eine Debatte eingeladen und haben interreligiös über die Frage nach Gott und dem Leid besprochen. Das Ganze wurde in einem Livestream übertragen.
Das Programm war auf unterschiedlichen Ebenen sehr ansprechend. Vom Ton her sachlich und die Wortbeiträge intelligent. Da diese Gruppe nun auch einen Podcast betreiben, hörte ich mir verschiedene Folgen an. Ich habe ehrlich gesagt wenig Ahnung vom Islam und dachte, es sei eine gute Idee, mal wahrzunehmen, was es da so gibt.
Also hörte ich ein paar Folgen.
Und dann beschlich mich ein gewisses Gefühl.
Im Grunde war es ein Beklemmung.
Dieses Gefühl kenne ich ansonsten nur daher, wenn ich in den Kontakt mit christlichen Fundamentalisten komme.
Hier spürte ich etwas Ähnliches.
Es war die Art, wie mit Leichtigkeit darüber geredet wurde, dass Gott Menschen mit der ewigen Hölle bestrafen würde. Es war die völlige Überzeugtheit von der eigenen Richtigkeit – und entsprechend vom Verblendetsein aller anderen. Es war die Intensität – in einer Folge erzählte ein Gast, dass er über viele Jahre den Koran und die Überlieferungen der Gelehrten studiert und sogar auswendig gelernt hatte.
All das kenne ich aus meiner Zeit im christlichen Fundamentalismus.
Eine Googlesuche hat nebenbei ergeben, dass diese Gruppe im Verfassungsschutzbericht des Landes Badenwürtemberg ausführlich thematisiert wird.
Das hat mich geschockt.
Ich hatte zwar gelesen, dass Salafisten im Netz unterwegs sind, überrascht hat es mich dann aber doch.
Fundamentalismus gibt es an vielen Orten.
Ich finde es wichtig, dass da etwas in mir Alarm schlägt.
Im Zuge dieses kleinen Erlebnisses habe ich mir aber noch einmal mehr Gedanken gemacht, wann in mir der Alarm losgeht.
Zum einen war es eine gewisse Unfähigkeit, die eigene Religion kritisch zu sehen.
Es wurde betont, dass die Religion und die vertretene Lehre „der richtige Glaube“ sei.
Das war nicht nur eine Abgrenzung zu anderen Religionen, es war auch ein Statement anderen Lesarten der eigenen Religion gegenüber.
Verbunden war das mit der Annahme, dass man die Reinform der Religion vertrete. Man glaubt, so, wie die Religion historisch schon immer vertreten wurde. Man lehnt also den Gedanken ab, dass sich Religion entwickelt. Stattdessen glaubt man daran, dass man die unveränderte richtige Version vertritt. Entsprechend sieht man auch keine Notwendigkeit, den Glauben an die heutige Zeit anzupassen.
Man muss höchstens neue Fragen bedenken (z.B.: Was halten wir von Bitcoins?). Aber es kann keine wirkliche Reform geben. Wenn es zum Beispiel um Gleichberechtigung geht, dann gilt der Prophet Mohamed als perfekter Feminist. Wenn der heutige Feminismus aber etwas fordert, was den Überlieferungen über Mohamed entgegen steht, dann muss sich diese Art von Religion an das Dogma halten. Anders ausgedrückt: Es kann in diesem Verständnis keine Weiterentwicklung der Religion geben, die über das historische Vorbild hinaus geht.
Entsprechend muss auch mit anderen Erkenntnissen umgegangen werden. Man vertritt eine Überlegenheit der Religion anderen Formen von Wissen gegenüber.
Das kommt letztlich einer Abwertung von Wissenschaft gleich.
Spannend war auch eine Passage, in der es um radikale Gläubige ging. Ich denke, dass damit solche gemeint waren, die auch zu Gewalt gegen Andersglaubende greifen. Deren Problem sei es, dass sie die religiösen Schriften nicht gut genug kennten und sich selber anmaßen würden, die rechte Bedeutung zu verstehen. Dafür gebe es in der Religion aber Experten, die man zu fragen und deren Auslegung man zu übernehmen habe.
Auch hier merke ich, dass hier etwas mitschwingt, bei dem ich große Probleme habe.
Ich meine, dass es nicht reicht, problematische Seiten der Religion auf der Ebene von „falschen Interpretationen“ religiöser Texte zu behandeln.
Glaubende müssen in der Lage sein, einen anderen Standpunkt zu vertreten und sich auch gegen die religiösen Inhalte der Glaubenstradition stellen zu können. Es reicht halt nicht, einen Gelehrten zu finden, der die Texte anders interpretiert. Die Texte selber dürfen nicht das letzte Wort haben.
Kritisch Denken ist wichtig.
Lernbereitschaft ist wichtig.
Religion weiterentwickeln ist wichtig.
Zweifeln ist wichtig.
Sich nicht so Ernst nehmen ist wichtig.
Und ein Leben jenseits von Religion ist wichtig.